Angst­kat­zen

2014-09-15 15.03.44

 

Der Umgang mit Wild­lin­gen und see­ehr scheu­en Katzen

Wenn man sich dazu ent­schliesst, Wild­lin­ge oder sehr scheue Kat­zen (z.B. vom Aus­land­stier­schutz) zu sich holen, braucht man Geduld. Hat man die nicht, soll man die Fin­ger von sol­chen Tie­ren lassen.
Und mit Geduld mei­ne ich: Geduld-Geduld-Geduld-GEDULD!

Was mir sehr wich­tig ist: es lohnt sich.
Es gibt nichts Schö­ne­res, als einer (falls man schon eine Erst­kat­ze hat) oder zwei Angst­kat­zen (Ein­zel­kat­zen­hal­tung in der Woh­nung ist auch bei sol­chen Kat­zen nichts ande­res als Tier­quä­le­rei) dabei zu hel­fen, ihre Angst zu über­win­den. Ich sit­ze hier inmit­ten von ehe­ma­li­gen Wild­lin­gen, die zu klet­ten­ar­ti­gen Schoss­kat­zen mutier­ten. Manch­mal so klet­tig, dass es äääächt anstren­gend ist. 😉
(ich krieg irgend­wann einen Ten­nis­arm, weil es nur sel­ten vor­kommt, dass gera­de kei­ner an mir dran hängt und getra­gen wer­den will).

Wie fängt man es nun an, wenn ein Wild­ling oder eine Angst­kat­ze einziehen?
Man berei­tet einen Raum vor. Das kann durch­aus auch ein Mini-Räum­chen sein, je über­sicht­li­cher für das Tier, des­to bes­ser. Vom Wohn­zim­mer rate ich ab, es sei denn, man ist bereit, das Wohn­zim­mer anfangs haupt­säch­lich der Kat­ze zu über­las­sen und auf TV-Gucken und Musik­hö­ren zu ver­zich­ten. Oder einen Kopf­hö­rer zu benutzen.
In die­sen Raum stellt man in eine Ecke ein Kat­zen­klo (kein Hau­ben­klo, son­dern ein offe­nes Kat­zen­klo), bes­ser aber noch zwei Kat­zen­klos. Mög­lichst weit vom Kat­zen­klo ent­fernt stellt man den Fut­ter­napf. Der Was­ser­napf soll­te in einer wei­te­ren Ecke des Rau­mes unter­ge­bracht werden.
Dann kommt noch ein Kratz­brett (falls man Kratz­baum nicht rum­schlep­pen will) und ein Kuschel­bett­chen dazu. Eben­so ein paar Spiel­sa­chen, die kei­ne Geräu­sche machen. Also kei­ne Bäll­chen mit Glöck­chen oder Ras­sel­mäu­se oder so. Son­dern geräusch­lo­se Spielsachen.

Fer­tig ist das Kat­zen­zim­mer und das Angst­häs­chen kann einziehen.

Oh, halt. Was ver­ges­sen: Falls Möbel in dem Raum ste­hen, unter die die Kat­ze krab­beln und sich dort ver­ste­cken kann, soll­te man die­se mit Büchern oder Bret­tern ver­bar­ri­ka­die­ren. Es ist nicht hilf­reich, wenn sich die Angst­kat­ze unter einem Möbel­stück ver­kriecht und immer nur die Füs­se und Bei­ne des Men­schen sieht. Denn, wie soll man da mit ihr Kon­takt auf­neh­men, ohne dau­ernd flach auf dem Bauch auf dem Boden zu liegen?
Also, alles wor­un­ter die Kat­ze sich ver­ste­cken könn­te, abdich­ten. Ihr Rück­zugs­ort ist die Kuschel­höh­le oder der Ken­nel mit der abmon­tier­ten Türe, weil von dort aus kann sie sehen, was sie sehen soll und hat trotz­dem einen geschütz­ten Rückzugsort.

Die ers­ten ein oder zwei Tage soll­te man die Kat­ze in Ruhe las­sen. Nicht lan­ge bequat­schen und schon gar nicht ver­su­chen, sie zum Spie­len auf­zu­for­dern. Die Spiel­sa­chen im Raum sind nur dazu da, dass sie sich damit beschäf­ti­gen kann, wenn sie allei­ne ist und das möchte.

So weit, so ein­fach. Jetzt kommt der schwie­ri­ge Teil. Man muss SICH SELBST beobachten.
Fol­gen­des soll­te ver­mie­den werden:

  • Kei­ne rascheln­den Klamotten
  • Kei­ne schnel­len Bewe­gun­gen. Man soll­te sich in dem Zim­mer, in dem die Angst­kat­ze ein­quar­tiert ist, wie in Zeit­lu­pe bewe­gen. Ohne Spass, das ist wichtig.
  • auf Hart­bö­den kei­ne “lau­ten” Schu­he, die bei jedem Schritt klackern.

Ist der Angst­has nun also ein­ge­zo­gen, lässt man ihn erst­mal zwei Tage in Ruhe. Ab und zu mal in den Raum gehen, Fut­ter brin­gen, Was­ser wech­seln und Kat­zen­klo put­zen und dabei lei­se mit der Kat­ze reden. Das wars.

So unge­fähr am drit­ten Tag fängt man dann an, Kon­takt auf­zu­neh­men. Schnappt euch ein Buch, setzt euch zu der Kat­ze ins Zim­mer, mög­lichst so, dass sie euch von ihrem Versteck/der Kuschel­höh­le aus sehen kann.
Lest ihr vor, erzählt ihr Geschich­ten und bab­belt sie an. Sobald sie in eure Rich­tung schaut, soll­tet ihr blin­zeln. Also laaa­ang­sam die Augen auf und zu machen. Das heisst auf kät­zisch: ist alles ok, pas­siert nix, ich tu dir nix, du kannst mir vertrauen.

Und pie­pen. Und bab­beln. Lacht ihr manch­mal Müt­ter aus, die mit ihren Zwer­gen in die­ser Mut­ter-Baby-Spra­che plap­pern? Nun denn, genau die­ses Dei­dei­dei-Geplap­per und anpie­pen ist genau das Rich­ti­ge, um Kon­takt zu Angst­ha­sen­kat­zen auf­zu­neh­men. Los, traut euch! Je alber­ner, des­to bes­ser. Wild­lin­ge und Panik­kat­zen lie­ben das. Es beru­higt sie, denn, so lan­ge ihr euch lieb anhört, habt ihr nicht vor, ihr den Hals umzu­dre­hen. Und damit rech­nen Angst­kat­zen und Wildl­lin­ge stän­dig. Wer lei­se singt und Baby­spra­che bab­belt, der hat nix Böses im Sinn.
Lied­chen lei­se vor­sin­gen ist auch super.

Und nein, ich bin nicht völ­lig durch­ge­knallt. Das alles hat sei­nen Sinn, glaubt es mir ein­fach. Und es wirkt.

Dann kann man ganz laaa­ang­sam auch anfan­gen, die steif und starr vor Angst in der Höh­le hocken­de Kat­ze zu akti­vie­ren. Am bes­ten eig­net sich dazu das Kis­sen-Pin­sel-Spiel. Das ist das Bes­te von allen Spie­len am Anfang, weil es sehr ruhig ist, der Mensch sich dabei nicht bewe­gen muss und die Kat­ze (die noch total ange­spannt bis ver­krampft ist) sich dafür nicht frei im Raum bewe­gen mus, was sie zu dem Zeit­punkt eh noch nicht machen würde.
Das Kis­sen-Pin­sel-Spiel geht so: Man nimmt ein gros­ses Kis­sen und einen Pin­sel. Das kann ein Was­ser­far­ben­pin­sel oder ein klei­ne­rer Maler­pin­sel oder ein Kos­me­tik­pin­sel sein. Lan­ger Stiel ist von Vorteil.
Kis­sen (mit Abstand natür­lich) vor die Kat­ze legen, bzw. deren Kuschel­höh­le und den Pin­sel unter dem Kis­sen lang­sam bewe­gen und vor­gu­cken lassen.

Weil ich das nicht wirk­lich gut erklä­ren kann, habe ich eben mit Fie­te, unse­rem Ver­suchs­tier ein kur­zes Video gedreht:

Fie­te ist natür­lich alles ande­re als eine Angst­kat­ze, son­dern das genaue Gegen­teil. Aber es geht ja nur um das Kis­sen und den Pin­sel, nicht um den klei­nen Wich­tig­tu­er und ich konn­te das Film­chen nicht mit einer ande­ren Kat­ze machen, weil Mr. Wich­tig sich dau­ernd vor­ge­drän­gelt hat. Der platzt eines Tages noch vor lau­ter Wichtigkeit. 😀

Wich­tig: das Kis­sen muss ruhig lie­gen. Es dient der Kat­ze als qua­si-Schutz­wall, sie sieht die Hand nicht und hat etwas zwi­schen sich und dem Menschen.
Erst­mal wird sie nur den Pin­sel beob­ach­ten und nicht pföteln. Wenn sie inter­es­siert den Pin­sel mit den Augen ver­folgt, dann das Kis­sen auf Pfo­ten­reich­wei­te legen. Irgend­wann wird sie ganz vor­sich­tig erst den Pin­sel bepföteln und dann Angst vor der eige­nen Cou­ra­ge bekom­men und erst­mal wie­der nur gucken.
Geduld. Auf einen Fort­schritt folgt oft ein klei­ner Rück­schritt. Das ist völ­lig nor­mal und immer so. Aber sie wird mit der Zeit muti­ger werden.

Was man ab-so-lut unter­las­sen soll­te: Nach der Kat­ze zu fas­sen. Fin­ger weg! Ange­fasst wird erst, wenn sie will. Vor­her nicht.

So lan­ge die Kat­ze nicht ein­deu­tig (!) von sich aus will, ver­ur­sacht nach ihr grei­fen oder fas­sen nur eines: einen Rie­sen­rück­schritt beim Abbau von Miss­trau­en und Angst. Auch nicht dann mal pro­bie­ren, wenn sie irgend­wo liegt und schläft. Natür­lich hat man das Bedürf­nis, sie eeeeend­lich mal zu strei­cheln. Aber: Nicht anfas­sen. Auf kei­nen Fall. Und wenn es noch so sehr in den Fin­gern kribbelt.

Man soll­te ver­su­chen, einer ängst­li­chen Kat­ze gegen­über immer (!), also wirk­lich IMMER signa­li­sie­ren, dass man sie mag, dass man ihr nichts tun wird und dass sie kei­ne Angst haben muss. Und wenn man am Tag 500 mal in der Woh­nung an der Kat­ze vor­bei läuft, dann sagt man eben 500 mal ein freund­li­ches Wort zu ihr,
bequakt sie 500 mal und blin­zelt 500 mal.

Was auch super ist, sind Ritua­le. Ritua­le sind eh das Gröss­te, wenn man Tie­re hat. Tie­re, egal wel­che, lie­ben sie. Es sind alles klei­ne Spies­ser, die durch regel­mäs­sig wie­der­keh­ren­de Ritua­le Sicher­heit bekom­men oder ein­fach Spass dar­an haben. Weil sie wis­sen “oh, jetzt kommt dies und das”.

Bei Wild­lin­gen bie­tet sich natür­lich an, ein Fut­ter­ri­tu­al ein­zu­füh­ren. Man neh­me einen Koch­löf­fel aus Holz (weil nicht so rut­schig wie einer aus Plas­tik) mit einem lan­gen Stil. Je län­ger, des­to bes­ser, weil Abstand zur Hand grös­ser. Kann man auch mit einem Bam­bus-Dings­bums, die­se Stäb­chen eben, verlängern.

Kurz vor der Füt­te­rungs­zeit (denn da sind sie am hung­ris­ten 😀 ) gibt es dann z.B. Vit­amin­pas­te oder ein Lecker­li oder halt das, wor­auf die Kat­ze total abfährt, auf dem Holz­löf­fel ange­bo­ten. Mit der Zeit kann man laaa­ang­sam damit die Kat­ze etwas näher an sich ran locken. Man fängt mit aus­ge­streck­tem Arm an, und dann eben immer näher. Aber in win­zigs­ten Schrittchen.
Falls der Angst­has sich nicht traut, ver­sucht man es mit dem Kis­sen. Also genau­so wie beim Kis­sen-Pin­sel-Spiel. Das Kis­sen dient als Schutz­wall für die Katze.

Das funk­tio­niert natür­lich nur, wenn der Kat­ze nicht dau­ernd Fut­ter zur Ver­fü­gung steht. Aber das soll­te es eh nicht. Zwei bis drei­mal täg­lich (bei Kit­ten natür­lich dem­entspre­chend öfter) gibts was. Dann wird gefres­sen, soviel rein passt. Sie müs­sen sich so rich­tig satt fut­tern kön­nen. Ewig hung­ri­ge Kat­zen sind ewig unent­spann­te Kat­zen. Fes­te Fut­ter­zei­ten sind wichtig.

Wenn der Angst­has so lang­sam etwas auf­taut, kann man die Spiel­an­gel ein­set­zen. Aber nicht in der Luft, son­dern nur auf dem Boden. Oder Lecker­li über den Boden rol­len. Oder Bäll­chen. Nichts wer­fen oder mit irgend­was in der Luft rum­fuch­teln, nur über den Boden kul­lern oder ziehen.

Und bei alle­dem, egal was man macht, kom­mun­ziert man mit der Kat­ze. Sobald sie einen anschaut, piept man sie an (wir erin­nern uns, das Mama-Baby-Getue, gell? “Du klei­nes Stin­kerl, guck mal, willst du das? Du süs­ser klei­ner Zucker­ha­se” — so in der Art eben. Immer!), man blin­zelt was das Zeug hält und bewegt sich immer laaaa­ang­sam an der Kat­ze vor­bei. Wer gedan­ken­los durch die Bude galop­piert und den Angst­has ein ums ande­re mal damit erschreckt, hat ganz schlech­te Karten.

Par­ties soll­te man in der Woh­nung auch nicht statt­fin­den las­sen, is klar, ne?
Klei­nes Kind im Haus? Fin­ger weg von Wild­lin­gen oder Angstkatzen.
Wenn euer Mann/Freund/Frau/whatever nicht 100% mit­spielt, dann lasst es. Es bringt nix, wenn einer mit dem Arsch ein­reisst, was der ande­re mit den Hän­den aufbaut.

Und wenn ihr das alles macht und zwar mit Herz und Lie­be und Geduld-Geduld-Geduld habt, auch wenns län­ger oder sogar lan­ge (Mona­te kön­nen das sein) dau­ert, dann ver­spre­che ich euch (ernst gemeint!), dass ihr am Ende viel­leicht kei­ne Schoss­kat­ze haben wer­det, aber eine Kat­ze, die sich anfas­sen lässt und die euch von Her­zen dafür liebt, dass ihr ihr die Angst genom­men habt.

Wenn ihr Pech habt, habt ihr danach eine Klet­te, wie ich sie in viel­fa­cher Aus­füh­rung habe. 😀

Ehe­ma­li­ge Wild­lin­ge haben eine Nei­gung, zu Klet­ten zu wer­den. Mir kommt es so vor, als wenn bei den Kat­zen die Angst erst­mal besiegt ist, sie alles-alles-alles nach­ho­len müs­sen, was sie an Schmu­se­ein­hei­ten und Auf­merk­sam­keit in ihrem bis­he­ri­gen Leben ver­passt haben. Sie kön­nen gar nicht mehr auf­hö­ren, sich dar­über zu freu­en, dass sie kei­ne Angst mehr haben müs­sen. Sie mutie­ren dann ger­ne zu Auf­merk­sam­keits-Jun­kies, die depri wer­den, wenn sie sich ver­nach­läs­sigt fühlen.

Kei­ne Kat­ze MÖCHTE Angst haben. Und wenn sie sich noch so anstellt, sie macht das nicht aus bösem Wil­len oder der Absicht, euch zu ärgern. Sie hat schlicht und ein­fach rich­tig gros­se Angst. Immer dran den­ken, gell?

Quel­le: http://haustierwir.blogspot.com/2011/06/der-umgang-mit-wildlingen-und-seeehr.html
Autor: Balli